Erklärung der VVN-BdA zum Urteil im Dresdener Antifa-Prozess
8. Juni 2023
Die VVN-BdA ist empört über das Urteil des Dresdener
Oberlandesgerichts im Fall der angeklagten Antifaschistin Lina E und
ihrer Mitangeklagten. Über fünf Jahre Haft für sie als
„Rädelsführerin“ einer „kriminellen Vereinigung“ ist ein
Urteil, das nicht nur bezogen auf die Vorwürfe überzogen ist, sondern
angesichts des Prozessverlaufs nur als skandalös zu bezeichnen ist.
Es ist ungeheuerlich, dass der Senat um Richter Hans Schlüter-Staats
ein solch drastisches Urteil auf der Basis von Indizien, haltloser
Aussagen militanter Neonazis und eines dubiosen Kronzeugen fällte. Vor
Gericht kamen immer wieder grundlegende Zweifel an der Arbeit der
Bundesanwaltschaft auf, die den Fall an sich gezogen hatte. Falsche
Interpretationen von vorgelegten Materialien, widersprüchliche Aussagen
und fehlende Beweise prägten das Verfahren. Es gab lediglich ein
Konvolut an Indizien, die als »Belege« für die Täterschaft von Lina
E. angeführt wurden: Nicht einmal DNA-Spuren konnten eindeutig
zugeordnet werden, ein Foto vom Tatort bei Lina E. wurde als Beleg ihrer
Anwesenheit gerechnet. Auch der Kronzeuge Johannes Domhöver konnte
nichts Substanzielles beitragen. Vielmehr ist es erkennbar, dass er
seinen Freispruch erkauft hat mit einer Aussage, die die Vorwürfe der
Bundesanwaltschaft stützen sollten. Aussagen militanter Neonazis wurde
Glauben geschenkt – „Zeugen“, die in einem eigenen Prozess in
Eisenach wegen krimineller Handlungen verurteilt wurden.
Selbst die Bundesanwaltschaft musste eingestehen, »nicht den einen,
erdrückenden Beweis« zu haben. Trotzdem forderte sie acht Jahre Haft.
Für sie sei es »die Gesamtschau«, die die Vorwürfe erhärtete. Die
Verteidigung hat vollkommen zurecht das Vorgehen der Dresdner Justiz als
politisch motiviert beschrieben. Es ist ein Gesinnungsurteil, dass ein
Exempel gegen (militanten) Antifaschismus statuieren soll.
Dieses Urteil weckt unliebsame Erinnerungen an die Justiz in der
Endphase der Weimarer Republik, als bei Auseinandersetzungen zwischen
Nazis und Nazigegnern in aller Regel die Antifaschisten mit schweren
Verurteilungen rechnen mussten, während die SA und andere gewalttätige
Nazis mit Milde der Richter rechnen konnten.
Wenn Innenministerin Nancy Faeser angesichts des Urteils betont, dass es
auch im Handeln gegen Neonazis keine Selbstjustiz geben dürfe, da solch
ein Verhalten das Vertrauen in den Rechtstaat beschädige, dann betonen
wir, dass dieses Urteil in noch viel größerem Maße das Vertrauen in
die Justiz und die Regeln des Rechtstaates beschädigt. Wir erwarten,
dass bei einer rechtlichen Prüfung dieses Urteil aufgehoben wird.