Rassistischer Brandanschlag Hafenstraße 1996 in Lübeck
3. Januar 2022
Brandanschlag, Gedenken, Hafenstrasse, Lübeck, Mord, Rassismus
Vor 26 Jahren wurden bei einem rassistischen Brandanschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in der Lübecker Hafenstraße zehn Menschen ermordet, 38 weitere wurden – zum Teil schwer – verletzt. Sehr viele Indizien deuten auf einen rassistischen Hintergrund der Tat, sogar auf konkrete Täter aus der Neonaziszene hin. Dennoch wurden bis auf den heutigen Tag weder Täter zur Verantwortung gezogen noch der Ermittlungsskandal aufgeklärt.
Die Ereignisse der Nacht vom 18. Januar 1996 sind Teil unserer Geschichte. Eine Geschichte des Verlustes geliebter Menschen, von Verletzungen, von Angst, Traumatisierung, der Betroffenheit, des Nicht-Glaubenkönnens und des Widersprechens. Eine Geschichte des Gedenkens und des Anklagens.
Und so klagen wir auch in diesem Jahr an, dass die Täter bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Unsere Forderung nach der Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um die Tat und die Ereignisse der Nacht des 18. Januars 1996 neu aufzuarbeiten, zu bewerten und in die Untersuchungen ein rassistisches Tatmotiv einzubeziehen, bleibt weiterhin laut.
In Zeiten der globalen Krisen, wird es umso wichtiger solidarisch und gemeinsam füreinander einzustehen die bereits Ablehnung und Gewalt erfahren haben.
Daher lassen wir es uns auch anlässlich des 26. Jahrestages nicht nehmen, gemeinsam mit den Betroffenen den Ermordeten zu Gedenken. Lasst uns auch, unter den schwierigen Umständen eine solidarische Form finden, in der wir gemeinsam Gedenken & Anklagen.
In diesem Jahr möchten wir gemeinsam mit euch demonstrieren wir treffen uns am 15. Januar um 14 Uhr auf dem Rathausmarkt. Das Gedenken findet am 18. Januar um 18h am Gedenkort statt.
Zudem planen wir weitere Formate, die jedoch aufgrund der pandemischen Lage erst im Laufe des Jahres stattfinden sollen, um auf den Brandanschlag und unserer Forderung nach Aufklärung aufmerksam machen sollen.
Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen und werdet mit uns aktiv. Nehmt Teil an den Veranstaltungen, unterschreibt die Petition, verteilt unser Infomaterial oder setzt eigene Aktionen in die Tat um.
Wir erinnern:
An die 48 Menschen aus dem Haus in der Hafenstraße 52. Keiner der Menschen lebte freiwillig in diesem Haus.
Wir gedenken:
Françoise Makodila Landu, 29 Jahre
Christine Makodila, 17 Jahre
Miya Makodila, 14 Jahre
Christelle Makodila Nsimba, 8 Jahre
Legrand Makodila Mbongo, 5 Jahre
Jean-Daniel Makodil Kosia, 3 Jahre
Monique Maiamba Bunga, 27 Jahre
Nsuzana Bunga, 7 Jahre
Sylvio Bruno Comlan Amoussou, 27 Jahre
Rabia El Omari, 17 Jahre
Wir klagen an:
• dass die Staatsanwaltschaft Lübeck ein rassistisches Tatmotiv nicht weiterverfolgt hat, obwohl es Geständnisse von Neonazis gab.
• dass es bis heute keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gibt, der sowohl die Verstrickung der Behörden als auch die Tat selbst untersucht
• dass der Brand nicht offiziell als rassistischer Brandanschlag deklariert ist und eine Anerkennung, als schwerwiegendster Brandanschlag in Deutschland aussteht
• dass die Hansestadt Lübeck bis heute keine Erinnerungskultur für Opfer und Betroffene rechter Gewalt etabliert hat – Finanzierung, Anerkennung und rege Beteiligung weiterhin ausstehen
• dass rechte Gewalt nicht als gesamtgesellschaftliche Herausforderung angesehen und bekämpft wird
Initiative Hafenstraße ´96 – Gedenken & Anklagen
Redebeitrag von Gülcan Kara auf der Kundgebung am 15.01.2022
Es gilt das gesprochene Wort
Nach meinem Abitur kam ich im Jahr 1990 nach Deutschland. Seitdem sind mehr als 30 Jahre vergangen. In diesen Jahren sind viele Asylunterkünfte, Wohnheime für Vertragsarbeiter, Synagogen und Menschen mit Migrationshintergrund von Rechtsextremisten angegriffen worden. Dabei kamen mehr als 200 Menschen ums Leben. Heute möchte ich die bekanntesten Fälle kurz vortragen.
Fall 1: Amadeu Antonio Kiowa
Am 24. November 1990 wurde Amadeu Antonio in Eberswalde brutal zusammengeschlagen. Er ist 11 Tage später gestorben. Er war das erste Opfer nach der Wiedervereinigung, das sein Leben wegen der Hautfarbe verloren hatte. Die Täter sind zu sehr geringen Strafen verurteilt worden.
Fall 2: Hoyerswerda
Am 17. September 1991 eskalierte auf dem Marktplatz von Hoyerswerda ein Streit zwischen pöbelnden Neonazis und vietnamesischen Zigarettenhändlern. Die Neonazis wurden so aggressiv, dass die Händler sich nur in ihr Wohnheim retten konnten. Vom 18. bis 21. September wurde das Wohnheim der Vertragsarbeiter von Neonazis unter dem Beifall eines Teils der örtlichen Bevölkerung massiv angegriffen. Am 21. / 22. September verlagerte sich der Gewalt dann in Richtung des Asylbewerberheims. Wegen der heftigen Ausschreitungen musste das Asylbewerberheim am 23. September evakuiert werden. Insgesamt wurden 124 Menschen festgenommen. Zum Schluss sind nur 20 Personen zu geringen Strafen verurteilt worden.
Fall 3: Rostock-Lichtenhagen
Zwischen dem 22. und 26. August 1992 haben Rechtsextreme die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen angegriffen. Dabei haben bis zu 3000 Zuschauer den Rechtsextremen applaudiert und den Einsatz von Polizei und Feuerwehr behindert. Nachdem die Aufnahmestelle am 24. August evakuiert worden war, wurde das angrenzende Wohnheim, in dem sich noch über 100 Vietnamesen und ein Fernsehteam des ZDF aufhielten, am 25.08.1992 mit Molotowcocktails in Brand gesteckt. Die Polizei hatte sich in der Zeit völlig zurückgezogen. Sie haben die im Haus Eingeschlossenen schutzlos zurückgelassen.
Fall 4: Mölln
Am 23. November 1992 wurden zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in Mölln von Neonazis attackiert. Im zuerst attackierten Haus gab es zum Glück kein Todesopfer. Leider kamen im zweiten Haus drei Menschen ums Leben.
Fall 5: Solingen
Am 29. Mai 1993 folgte erneut ein Brandanschlag, diesmal in Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen.
Fall 6: Carlebach Synagoge in Lübeck
Am 25. März 1994 wurde ein Brandanschlag auf das jüdische Gotteshaus in der St.-Annen-Straße in Lübeck verübt. Die Carlebach Synagoge war die erste, die knapp fünfzig Jahr nach dem Ende der Naziherrschaft wieder von Neonazis angegriffen worden war.
In der Nacht auf den 8. Mai 1995 gab es erneut einen Brandanschlag auf die Synagoge, bei dem ein angrenzender Schuppen vollständig ausbrannte.
Fall 7: Hafenstraße
Am 18.01.1996 wurde ein Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Lübeck verübt. Dabei sind zehn Menschen ums Leben gekommen. Der Fall ist immer noch nicht aufgeklärt!
Fall 8: NSU
Die rechtsextremen Mitglieder der Terrorzelle „Nationalistischer Untergrund (NSU)“ haben von 1998 bis 2011 zehn Menschen mit Migrationshintergrund ermordet.
Seit 2015 hat sich die Zahl der Übergriffe auf Politiker*innen erhöht, die sich für Flüchtlinge, Migration und Menschenrechte eingesetzt haben.
Fall 9: Henriette Raker
Am 17. Oktober 2015 hat ein Rechtsextremist Henriette Raker während ihres Wahlkampfes für das Oberbürgermeisteramt in Köln mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Nach dem Angriff schwebte sie in Lebensgefahr und lag mehrere Tage im künstlichen Koma.
Fall 10: Andreas Hollstein
November 2017 griff ein Mann den Bürgermeister Andreas Hollstein in Altena mit einem Messer an. Zum Glück überstand er den Angriff mit leichten Verletzungen .
Fall 11: Walter Lübcke
Am 02. Juni 2019 hat ein Rechtsextremist den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) auf seinem Balkon erschossen, wobei er ums Leben kam. Er ist der erste Politiker in Deutschland, der in der Nachkriegszeit von einem Rechtsextremisten erschossen wurde.
Fall 12: Halle
Der Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 war der Versuch eines Massenmordes an Juden am Versöhnungsfest. Der rechtsextreme Täter versuchte mit Waffengewalt, in die Synagoge im Paulusviertel einzudringen, um die dort versammelten Personen zu töten. Nachdem ihm dies misslungen war, erschoss er vor dem Gebäude eine Passantin und kurz darauf einen Gast in einem Döner-Imbiss.
Fall 13: Hanau
Ein Rechtsextremer hat am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen, danach seine Mutter und sich selbst.
Diese Fälle und meine persönliche Betroffenheit als potentiell bedrohter Mensch mit Einwanderungsgeschichte haben mich zu einer klaren Haltung im Kampf gegen Rassismus bewegt.
Jetzt laufen die Rassisten zusammen mit Corona – Leugnern durch unsere Straßen und verbreiten ihre rassistischen Idoelogie. Damit wollen sie unser friedliches Miteinander zerstören und die Demokratie in Gefahr bringen. Das darf nicht geschehen!
Ich will, dass diese Aufzählung des Schreckens hier und heute aufhört. Deswegen bin ich hier und möchte mit euch gemeinsam Rassismus und Menschenfeindlichkeit verurteilen.
Gemeinsam können wir sie stoppen!
Komm bitte am 17.01.2022 um 17:00 Uhr auf den Koberg zu der Demo „Solidarisch gegen Corona – kein Raum für Nazis“!